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Homeless' letzter Fall
Von P. L. Agiatus Folge 1 [online seit
26.01.2001]
Als der Taxifahrer vorfuhr und hupte, blickte Explora
Symson noch einmal kurz den Flur zurück, so als wüßte sie,
daß sie ihre gemütliche, kleine Wohnung für sehr lange Zeit
nicht wieder sehen würde. Dann strich sie sich mit der linken Hand kurz
über das dunkle, seidige Haar, packte entschlossen Koffer und Reisetasche,
die Handtasche hatte sie umgehängt, ging in den Flur, schloß ab und
verließ das Haus. Beim Verladen des Koffers winkte sie noch kurz Frau
Sternai zu, die wie immer hinter der Gardine sitzend die Strasse beobachtete.
Nicht einmal fünfzehn Minuten später war sie am Hauptbahnhof, wo sie
den Expresszug nach Paris bestieg.

Ferdinand Graf von Groithenraff saß in seinem Sommerdomizil
am Starnberger See beim Frühstück. Wie immer, wenn er nicht im Groithenraff'schen
Schlößchen weilte, war er im schon Morgengrauen mit seinem Rauhaardackel
Bringo im Wald unterwegs gewesen. Trotz der Anspannung der letzten Tage, die er sich
natürlich nicht anmerken ließ, hatte er den kurzen Waldlauf wie stets im
lockeren Trab absolviert. James, der Butler, kam herein und legte die Morgenzeitungen
und die Post auf einen kleinen Tisch. Ein Schreiben behielt er in der Hand und trat
damit zum an den Frühstückstisch heran. "Was gibt es denn, James?"
fragte von Groithenraff freundlich und ließ die Kaffeetasse sinken. Er hatte
James, der eigentlich Hannes Alberssein hieß und in den Akten der Kölner
Polizei unter dem Pseudonym "Die Goldfeder" mehrere Akten füllte,
eingestellt, obwohl er wußte, daß Hannes ein sehr begabter Fälscher
war. Eigentlich beruhte ihre Beziehung sogar zunächst ausschließlich auf
den Fähigkeiten von Hannes, praktisch jedes Schriftstück so perfekt nachzumachen,
daß es im Zweifelsfall selbst vor Gericht Bestand hatte. Jedenfalls hatte man
Hannes, seit dem Eintritt ins Groitheraff'sche Haus James genannt, nie etwas nachweisen
können. Den Kollegen der als Hitler-Tagebücher veröffentlichten Fälschungen
bezeichnete James als Amateur. "Das lag in der Post", sagte James, "es
trägt keinen Absender!" Er reichte dem Grafen einen länglichen, grau-weißen
Normbrief ohne Sichtfenster. Der Graf drehte das Schreiben mehrfach in der Hand. "Bis
auf den fehlenden Absender ziemlich unverdächtig", sagte er dann. "Die Marke
fehlt", entgegnete James, "Fingerabdrücke auch", ergänzte er dann,
ohne zu erklären, wie er zu dieser Feststellung kam. 'Ferdinand Graf von Groithenraff,
persönlich' stand auf der Vorderseite des Umschlags, sonst nichts. Der Graf nahm den
silbernern Brieföffner vom Tisch und öffnete entschlossen den Brief. Dieser
enthielt lediglich ein Blatt. Von Groithenraff las, dann wurde er blass. "Sie ist
entführt worden!", stammelte er. James wußte sofort Bescheid. Seit Tagen
warteten sie ungeduldig auf eine Nachricht von ihrem Agenten aus der Schweiz, und nun das.
"Verständigen Sie sofort London, ich will den besten Mann für diese Sache,
koste es was es wolle" sagte der Graf.
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P. L. Agiatus.
Illustrationen: Uli Hesse
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