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Homeless' letzter Fall
Von P. L. Agiatus Folge 2 [online seit
09.02.2001]
Als Doc Watton am 21. August ..... gegen 11 Uhr die Wohnung
betrat, stand Shylog Homeless, der berühmte Detektiv, im seidenen Morgenmantel
am Fenster und schaute, heftig an seiner Pfeife ziehend, hinaus in den nebligen Morgen.
"Wir bekommen Besuch, Watton", sagte Shylog Homeless, ohne sich umzusehen,
"wir werden heute also nicht weitermachen." Diese letzte Bemerkung bezog sich
auf die fast täglichen Sitzungen, in denen sie beide gemeinsam die Lebenserinnerungen
von Homeless zu Papier brachten. Natürlich ging es neben Kriegserinnerungen und
einigen Liebesabenteuern vornehmlich um die großen Kriminalfälle, die Shylog
Homeless offiziell mit geradezu atemberaubender Gehirnakrobatik, unterstützt durch
Doc Watton, gelöst hatte. Würde man der Wahrheit die Ehre geben, so müßten
sie wohl berichten, daß Doc Watton alle Fälle nahezu allein gelöst hatte.
Als etwas zu kleiner, zur Fettleibigkeit neigender Mann, bei dem sich die Haare schon in
jungen Jahren deutlich lichteten, hatte er aber von Anfang an gegen den hoch aufgeschossenen,
blonden Homeless mit seinem markanten Gesicht kaum eine Chance, wenn es darum ging, die
Lösung eines komplizierten Falles medienwirksam zu präsentieren. Er hatte sich
daher stets im Hintergrund gehalten, war kaum bekannt. So war es auch eher unwahrscheinlich,
daß sich die Lebenserinnerungen einer Randfigur vermarkten ließen, während
die Tantiemen als Co-Autor des berühmten Meisterdetektivs einen geruhsamen Lebensabend
in Aussicht stellten. Im Laufe der Zeit war es Doc Watton zudem zur zweiten Natur geworden,
den Meister als überragenden Denker zu präsentieren, so daß sie auch privat
diese Rollen von Meister und Adlatus nahezu perfekt inzenierten. Diese Tarnung hatte noch
andere Gründe, über die zu reden Doc Watton jedoch niemals Veranlassung sah und
nach denen sich Homeless auch nicht erkundigt hatte.
Natürlich hatte Doc Watton das Telegramm neben dem Telefon nicht
übersehen, dennoch fragte er, sich wißbegierig stellend, "Besuch? Wen
erwarten wir denn?" Homeless deutete mit dem Pfeifenstiel die Straße entlang
und sagte: "Wenn ich mich nicht irre, so wird jeden Moment ein Bankier aus Deutschland
an der Türe klingeln, der Tag beginnt vielversprechend, Watton!". Und in der Tat
führte die Haushälterin kurze Zeit später einen elegant gekleideten, etwa
fünfzigjährigen Mann in den Raum. Daß es sich um einen Deutschen handelte,
hatte Shylog Homeless natürlich dem Namen des Absenders entnommen, der sich förmlich
als Heinrich von Advorkate vorstellte. Doc Watton hätte sogar den Geburtsort nennen
können, einmal, weil er perfekt deutsch sprach und nahezu jeden Dialekt erkannte, zum
anderen, weil er natürlich über Ruf und die gesellschaftliche Stellung der von
Advorkates in Deutschland bestens informiert war. Advorkate führte in London seit
etwa acht Jahren die Geschäfte einer deutschen Privatbank und hatte sich in letzter
Zeit recht erfolgreich bei der Übernahme von Firmen geschlagen. Außerdem war er
selbst wohl an einigen Firmen in der Schweiz und Österreich beteiligt, die sich u.a. mit
der Vermarktung von Internetadressen und Marken beziehungsweise Warenzeichen befaßten.
"Meine Herren", erklärte von Advorkate nach der kurzen
Begrüßung, "ich möchte möglichst schnell zur Sache kommen,
muß Sie aber zunächst um strikte Diskretion bitten. Es könnte nämlich
zu Verwicklungen, auch zwischen England und Deutschland führen, wenn der Inhalt unseres
Gesprächs etwa an die Öffentlichkeit dringen würde." Er sah Doc Watton
und Shylog Homeless erwartungsvoll an. Als aber niemand eine Bemerkung machte, zuckte er
kurz mit den Schultern und fuhr fort: "Ich komme übrigens im Auftrag des Grafen
Groithenraff, sagt Ihnen der Name etwas?" Da Shylog Homeless diesen Namen mit Sicherheit
nicht kannte und daher weiter an seiner Pfeife zog, raffte sich Doc Watton zu einem kurzen
"natürlich, wer kennt den nicht!" auf. "Erzählen Sie doch einfach,
was Sie zu uns führt". Was von Advorkate dann aber berichtete, raubte selbst den
hartgesottenen Kriminalisten aus England den Atem. Man hatte die Tochter des Grafen
Groithenraff entführt.
"Ich wußte gar nicht, daß Graf von Groithenraff auch
eine Tochter hat", sagte Doc Watton, "bisher ist mir nur bekannt, daß er
einen Sohn bei der Marine hat." Der Bankier blickte von einem zum anderen. "Explora
S. ist die Tochter des Grafen, das hat er mir selbst am Telefon gesagt", erwiderte er
dann. "Ich habe keinen Grund zu der Annahme, daß Ferdinand, ich meine der Graf
dies erfunden hat." Shylog Homeless zog ungerührt an seiner Pfeife. "Weiß
man, wer dahinter steckt?" fragte er dann. Advorkate zog ein Papier aus seiner Tasche
und reichte es dem Meisterdetektiv. "Das kam gestern per Fax", sagte er dann. Das
Schreiben war ziemlich kurz, aber aufschlußreich:
"Hallo Schwiegerpapa in spe. Explora und ich sind kurzfristig zu
einer Reise in die vorgezogenen Flitterwochen aufgebrochen. Haben sicher noch viel Spaß
dabei.
Gruß A.B. Greifer
PS: wenn Deine Tochter nicht mitspielt, laß ich sie verrecken."
Lob, Kritik, Anregungen: Ihr Feedback an
P. L. Agiatus.
Illustrationen: Uli Hesse
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