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Homeless' letzter Fall
Von P. L. Agiatus Folge 4 [online seit
03.03.2001]
Bei tropischer Hitze entstieg Explora der Maschine der
Air France und ließ sich im Taxi sofort zum Hotel Carom's International
fahren. Nach drei Tagen Aufenthalt in Paris, wo sie sich völlig neu
eingekleidet hatte, war sie nach Nassau geflogen, wo sie am folgenden Tag eine
dreiwöchige Reise auf dem türkischen Kreuzfahrer "Arastirici"
beginnen sollte. Zuvor hatte sie aber noch ein paar Dinge zu erledigen. Als
erstes führte sie ein kurzes Telefonat mit der "Banque National de
Chercheur sans Honneur" und verabredete einen Termin mit dem Bankdirektor
Frank N. Stein. Dann ging sie unter die Dusche und ließ anschließend
den Hotelfriseur kommen, um die Frisur in Ordnung zu bringen zu lassen.
Während der schwarze Friseur ihr die Haare trocknete, dachte sie kurz
über ihren letzten Coup bei der schweizerischen Softwieniecs nach, die sie
mit einem simplen Trick um fast 1,8 Mio. Franken erleichtert hatte. "Die
werden ganz schön dumm aus der Wäsche gucken, wenn sie das merken",
dachte sie. Im Prinzip war es ziemlich unwahrscheinlich, daß der Verlust
so rasch auffiel, aber die Vorstellung, daß der schmierige Betriebsleiter
F. Ett dann seinen Hut nehmen mußte, gefiel Explora ausnehmend gut. Er
hatte mehrfach versucht, mit ihr anzubandeln.
Um 15:30 Uhr ließ sie sich ein Taxi rufen und fuhr direkt zur Bank.
Direktor Frank N. Stein erwies sich als charmanter Mittvierziger mit leicht
graumelierten Schläfen, vollem Haar und vollendeten Manieren. Der Bankier
musterte unauffällig die attraktive junge Dame. "Die weiß, was
sie will", dachte er bei sich, "wenn Sonja nur etwas von dieser
Energie hätte." Sonja war seine zweite Frau, gut aussehend aber
recht anspruchslos und kaum in der Lage, mehr als Smalltalk zu führen.
Stein seufzte innerlich, konzentrierte sich dann aber auf sein attraktives
Gegenüber. "Selbstverständlich können wir Ihnen sofort
ein Nummernkonto einrichten, Frau Symson. An welchen Betrag hatten Sie bei
Ihrer Einlage gedacht?" Er zuckte mit keiner Miene, als Explora ihm die
Summe nannte, und veranlasste umgehend die nötigen Formalitäten.
Nach einer knappen Viertelstunde war Explore Kunde der Bank. "Ich
möchte Sie bitten, die besprochenen Transaktionen noch heute telegrafisch
zu veranlassen. Bis morgen nachmittag drei Uhr erwarte ich dann Ihre Nachricht",
sagte Explora zum Abschied. "Danach werde ich für einige Zeit nicht
erreichbar sein. Aber in vier bis sechs Wochen besprechen wir dann die weiteren
Geschäfte", fügte sie noch hinzu. Der Bankier ließ es sich
nicht nehmen, Explora in der bankeigenen Limousine zum Hotel zurückbringen
zu lassen. "Machen Sie mir eine Verbindung mit Palermo", sagte er zu
seiner Sekretärin, als Explora verschwunden war.

Doc Watton genoß die Reise. Er hatte in London eine
Maschine nach Stockholm bestiegen, war dort sofort nach Kopenhagen umgestiegen,
mit dem Bus über die Vogelfluglinie nach Deutschland gereist und hatte sich
dann entschlossen, mit der Bahn nach München zu fahren. Er saß allein
in einem Abteil erster Klasse. Wie er dieses Land liebte. Vor dem Weltkrieg hatte
er in der Nähe von Koblenz gelebt, von diversen Reisen nach 1945 kannte er
das Land besser als England, wo er nie so richtig heimisch geworden war. Er
schwelgte in seinen Erinnerungen und schlief dabei ein. Als er erwachte, war es
dunkel. Kurz danach erreichte der Zug München Hauptbahnhof. Doc Watton
beschloß, den Besuch bei Groithenraff auf den kommenden Tag zu schieben.
Das gab ihm Gelegenheit, noch ein wenig durch das nächtliche Schwabing zu
streifen und ein paar Erinnerungen an seine Studentenzeit aufzufrischen. In den
30er Jahren war München gewissermaßen seine Stadt gewesen. Damals
hieß er natürlich noch nicht Watton. Diesen Namen hatte er sich erst
auf der Flucht vor den Alliierten zugelegt. Seine Überlegung, daß
man einen Angeklagten der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse kaum in
unmittelbarer Nähe vermuten würde, hatte sich bis heute bewahrheitet.
Zudem hatte Nachkriegsdeutschland ziemlich wenig Interesse gezeigt, der
Angeklagten der Prozesse ernsthaft habhaft zu werden. Nun, das war lange vorbei,
an die Wirren nach 1945 zu denken, machte weniger Freude als an die lustigen
Zeiten in der Burschenschaft. Seine erste Liebe hatte er auch in der Stadt
gefunden, ein dralles Judenmädchen, obwohl er katholisch war. Ja, es war
eine schöne Zeit gewesen, damals.

Shylog Homeless hatte zunächst den Weg Richtung
Südküste eingeschlagen, sich dann auf einem Fischtrawler nach
Nordspanien bringen lassen; zwei Tage hatte er mit Seekankheit unter Deck gelegen.
Schließlich hatte er in Gijón ein gebrauchtes Auto gekauft. Mit
diesem wollte er durch Andorra und Frankreich bis München fahren. Den
Aufwand betrieb er nicht etwa, weil er annahm, daß er verfolgt wurde,
sondern weil es ihm Spaß machte sich zu tarnen, und er gerne reiste.
Außerdem reichten die Spesen, die man einem so berühntem Detektiv
wie ihm zahlte, für manche Extravaganz. Die Hauptaufgabe würde
sowieso Doc Watton lösen, das war schließlich nicht seine Aufgabe
im Team.
Kurz vor Santa Coloma hatte Homeless eine Reifenpanne am rechten Hinterrad.
Fluchend hielt er an. Weit und breit war kein anderes Fahrzeug zu sehen.
Homeless stieg aus und öffnete den Kofferraum, um das Reserverad
auszuladen, das unter seinem Gepäck lag. Er stapelte sein Gepäck
rechts neben dem Fahrzeug auf einem nahezu ebenen Fels und setzte den
Wagenheber an. Aus der Ferne näherte sich ein Fahrzeug. Zu sehen war es
zwar nicht, aber dem Geräusch nach mußte es sich um ein Motorrad
handeln. Homeless legte die Kurbel des Wagenhebers wieder zur Seite. So ein
Glück, vielleicht konnte er den Fahrer bitten, im nächsten Ort
Bescheid zu geben und einen Mechaniker zu schicken. Er stand auf, um sich
bemerkbar zu machen. Ein talwärts fahrendes Motorrad näherte sich
mit aufgeblendetem Scheinwerfer. "Eine Enduro 1200 SX24.TV von Baller;
Mann, hat die einen Zahn drauf", kombinierte Homeless. Er konnte den
Fahrer gegen die Sonne kaum ausmachen. Homeless winkte ihm zu, um zu
signalisieren, daß er Hilfe brauchte. Instinktiv wich Homeless zum
Straßenrand hin zurück, als der Fahrer trotz allem keine
Anstalten machte, die Fahrt zu verlangsamen. Kurz bevor das Motorrad
Homeless' halb aufgebockten Wagen passierte, warf der Fahrer einen
Gegenstand in Richtung des Fahrzeugs. Homeless hechtete von der Straße
auf die tiefer gelegene Wiese. Die Handgranate, denn um eine solche handelte
es sich zweifellos, würde von seinem Klasse Kleinwagen nicht viel
übrig lassen, das war klar. Aber nichts geschah, es blieb völlig
ruhig. Als Homeless sich schließlich vorsichtig erhob, sah er das
Motorrad in der nächsten Serpentine weiter unten fahren. Er klopfte
sich die Gräser vom Mantel und versuchte mühsam, den Dung vom
Hosenbein zu entfernen. Bei seiner Blitzaktion war er wohl direkt in einem
alten Kuhfladen gelandet. 'RinderCola zischt und erfrischt!' stand auf der
Getränkedose, die Homeless neben dem linken Vorderrad fand. "Ein
Deutscher, auch das noch!" war alles, was ihm dazu einfiel. Der
Vorfall und seine Überreaktion beschäftigten ihn sowohl beim
Reifenwechsel als auch währen der weiteren Fahrt.
Als er spät abends Andorra-Stadt erreichte, bemerkte er daher Marc
Aroni von der Pastabande nicht, der am Stadteingang auf der Lauer lag.
"Er ist da", flüsterte Aroni in sein Mobiltelefon und folgte
dem Detektiv in gehörigem Abstand. Homeless wollte zunächst
weiterfahren, angesichts der unbekannten Strecke und der Dunkelheit zog er
es dann aber doch vor, in einem Hotel zu übernachten. Am Empfang der
etwas großspurig als "Grand Hotel" bezeichneten Unterkunft
trug er sich bei einer jungen Tanja ins Gästebuch ein.
"Damned", dachte er bei ihrem Anblick, "vor twenty years
hätte mich nichts abgehalten der als Singel 'at the underwear' zu
gehen." Er zwinkerte ihr zu; sie aber zog nur die Nase kraus,
vermutlich wegen der Reste des Kuhfladens.
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P. L. Agiatus.
Illustrationen: Uli Hesse
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